Am 30. / 31. Mai 2022 fand in Berlin die Transferkonferenz „Rechtsanspruch Leaving Care vor Ort verbindlich inklusiv gestalten“ statt – nach einer verkürzten digitalen Version im November 2021 nun endlich in Präsenz, unter maßgeblicher Beteiligung von gut 50 Care Receivern bzw. Care Leavern, die großenteils auch als VeranstalterInnen mitgestaltet haben.
Dem Mut, dem Engagement und der Zähigkeit vieler Care Leaver über lange Jahre ist es zu verdanken, dass nun endlich bei der Novellierung des SGB VIII berücksichtigt wurde, dass junge Menschen, die teilweise in der Jugendhilfe – in Wohngruppen, Heimen, Pflegefamilien oder anderen betreuten Wohnformen – aufwachsen (Care Receivern), noch weit über das 18. Lebensjahr hinaus Unterstützung benötigen. Zum Vergleich: Junge Menschen, die in ihren Familien aufwachsen, verlassen mit 23,5 Jahren (Frauen) bzw. mit 25 Jahren (Männer) ihr Elternhaus – dann, wenn sie sich so weit fühlen. Sie wurden und werden auch weiterhin in allen Übergängen durch ihre Familien unterstützt und haben „Rückkehroptionen“. Von jungen Menschen mit wesentlich belasteteren Geschichten und schwierigeren Startbedingungen wurde bisher erwartet, dass diese möglichst mit Vollendung ihres 18. Lebensjahres selbstständig sind – es hieß „notfalls noch ein Jahr“, dies lief unter „Ermessen“ und die Kriterien dafür blieben häufig undurchsichtig. Die Care Receiver hatte also in diesem existentiell wichtigen Übergang häufig nur minimal Unterstützung (oder eine wenig passende), praktisch keine Nachsorge geschweige denn Rückkehroptionen. Die einzige Möglichkeit weiterhin Unterstützung zu bekommen war sich teils retraumatisierenden Gutachten zu unterziehen, um „genug“ psychiatrische Diagnosen zu sammeln, damit weiterhin Unterstützung gewährt wird – mit der Gefahr der Abgabe ins (SGB XII) SGB IX, etikettiert als „behindert“ oder „von Behinderung bedroht“.
Im jetzigen SGB VIII bzw. im Kinder- und Jugendstärkungsgesetz (KJSG 2021) sind nun Rechtsansprüche für junge Volljährige gesetzlich verankert, z.B. das Recht auf Nachbetreuung, auf Finanzierung / Existenz / Wohnen, auf Beteiligung / Partizipation, auf Bildung…
Und endlich wurde auch die Kostenheranziehung für Ausbildungsverdienst u.ä. auf maximal 25 % heruntergesetzt (bisher 75 %). Im Ermessensspielraum des Jugendamts ist es auch möglich, dass ganz auf einen Kostenbeitrag verzichtet wird. Dies ist enorm wichtig zum Erhalt der Motivation und damit die Care Leaver die Möglichkeit zu haben für Führerschein, Neustart Wohnung u.ä. Geld ansparen zu können. Im aktuellen Koalitionsvertrag von SPD, Bündnis 90/ Die Grünen und FDP ist nun auch vereinbart worden, dass die Kostenheranziehung junger Menschen komplett abgeschafft werden soll. Es bleibt abzuwarten, wie schnell dieses Vorhaben in der nächsten Legislaturperiode umgesetzt wird. Aktuelle Infos dazu: https://ombudschaft-jugendhilfe.de/kostenheranziehung
Der Careleaver e.V. hat einen tollen Film produziert, in dem die jungen Menschen ihre Situation und vor allem auch die mit der Gesetzesreform verbundenen Rechte darstellen: https://www.careleaver.de/deine-rechte-als-careleaver-ein-video-von-und-fuer-careleaver/
Generell gilt nun für uns alle: dran bleiben, um diese Rechtsansprüche auch verbindlich umzusetzen und strukturell zu implementieren. Leider zog sich durch die „gelungenen“ Biographien immer wieder ein „ich hatte Glück mit meinem Jugendamt, mit meiner Bezugsbetreuung, mit der Berufsberatung, mit meiner Vormundschaft….“. Und es kann nicht sein, dass es von Glück abhängt, ob die geforderte „gleichberechtigte Teilhabe“ möglich ist.
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